Die kleine Bijou by Patrick Modiano

Die kleine Bijou by Patrick Modiano

Autor:Patrick Modiano [Modiano, Patrick]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Hanser
veröffentlicht: 2014-10-16T22:00:00+00:00


Sie ging sehr früh am Morgen weg. Und ich sollte an diesem Tag nach Neuilly, um mit der Kleinen zu sein. Um drei Uhr am Nachmittag habe ich an der Tür der Valadiers geläutet. Véra Valadier hat mir geöffnet. Sie schien erstaunt, mich zu sehen. Es war, als hätte ich sie geweckt und als sei sie sehr schnell in die Kleider geschlüpft.

»Ich habe vergessen, daß Sie auch am Donnerstag kommen.«

Und als ich sie nach der Kleinen fragte, sagte sie, das Kind sei nicht da. Es sei noch nicht aus der Schule zurück. Dabei war doch der Donnerstag schulfrei? Sie erklärte mir, an den Donnerstagen spielten die Internatsschülerinnen den ganzen Nachmittag im Hof, und die Kleine sei mit ihnen. Es war mir aufgefallen, daß Véra Valadier sie nie beim Namen nannte, genau wie ihr Mann. Beide sagten »sie«. Und wenn sie ihre Tochter riefen, so kam bloß ein: Wo bist du? Was machst du? Aber keinmal sprachen sie ihren Vornamen aus. Nach all den Jahren kann auch ich nicht sagen, wie sie hieß. Ich habe den Vornamen vergessen und frage mich inzwischen, ob ich ihn jemals gekannt habe.

Sie ließ mich in das Erdgeschoßzimmer treten, wo Monsieur Valadier, an den Schreibtisch gelehnt, sonst telephonierte. Warum hatte sie ihre Tochter an einem freien Tag in der Schule mit den Internatskindern dort gelassen? Ich konnte nicht umhin, sie das zu fragen.

»Es gefällt ihr sehr, am Donnerstagnachmittag dort zu sein ...«

Von meiner Mutter wäre früher ein ähnlicher Satz gekommen, und zwar immer in Situationen, da ich so verzweifelt war, daß es mich trieb, den Äther einzuatmen.

»Sie können sie später holen gehen ... Sie geht aber auch sehr gern allein heim ... Sie entschuldigen mich einen Moment?«

Ihre Stimme und ihre Miene wirkten verwirrt. Sie ging auf der Stelle hinaus und ließ mich allein in dem Raum, wo es keinen einzigen Sitzplatz gab. Fast hätte ich mich, wie M. Valadier, auf die Ecke des Schreibtisches gesetzt. Ein massiver Tisch aus hellem Holz mit zwei Schubladen beiderseits, die Schreibfläche mit Leder bezogen. Kein einziges Blatt Papier lag da, kein Bleistift. Nichts als das Telephon. Ich konnte meine Neugier nicht bezähmen und öffnete und schloß die Laden, eine nach der anderen. Sie waren leer, bis auf eine, in der hinten ein paar Visitenkarten mit »Michel Valadier« lagen, nur daß die Adresse nicht die von Neuilly war.

Aus dem Treppenhaus Stimmen, wie von Leuten im Streit. Ich erkannte Madame Valadiers Stimme und war erstaunt, was für Unflätigkeiten sie von sich gab; für Momente freilich: etwas Klagendes in ihrem Ton. Eine Männerstimme antwortete ihr. Die beiden kamen jetzt am Türrahmen vorbei. Madame Valadiers Stimme ist leiser geworden. Geflüster dann im Vorraum. Dann ist die Haustür zugefallen, und ich sah von meinem Fenster aus einen jungen, braunhaarigen, ziemlich kleinen Mann weggehen, in einer Wildlederjacke und einem Schal. Sie kam ins Büro.

»Tut mir leid, daß ich Sie allein gelassen habe ...«

Sie hat sich mir genähert, und ich merkte an ihrem Blick, daß sie mich etwas fragen wollte.

»Bitte, helfen Sie mir ein wenig beim Umräumen.«

Sie wies mich ins Treppenhaus, und ich bin hinter ihr in die erste Etage hinaufgestiegen.



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